1. Der Anfang vom Ende der Tiefe?
Vor Kurzem scrollte ich durch Fachpublikationen und Coaching-Angebote. Ich las von Methoden, die versprechen, in wenigen Stunden alles zu „lösen“. Von Zertifizierungen, die an einem Wochenende Professionalität verleihen sollen. Und von Coaches, die sich in sozialen Medien wie Influencer präsentieren. Ich spürte ein Unbehagen – nicht, weil ich grundsätzlich gegen neue Entwicklungen bin, sondern weil etwas Entscheidendes verloren zu gehen scheint: Tiefe im Coaching und Supervision.
Wann haben wir aufgehört, uns wirklich für das menschliche Miteinander zu interessieren? Wann wurde Coaching zu einer Bühne, statt zu einem Raum für Reflexion und Wachstum?
2. Die Verflachung des Marktes – und warum sie gefährlich ist
Der Markt des „schnellen Geldes“ hat Einzug gehalten. Wer heute einen „Coach“ braucht, wird erschlagen von Angeboten. Doch was genau steckt dahinter? Wochenendkurse, oberflächliche Hypothesen über menschliches Verhalten und blitzschnelle Verhaltenskorrekturen. Das klingt attraktiv. Schnelle Resultate, klare Anweisungen. Doch zu welchem Preis?
Supervision und Coaching waren immer Orte für Orientierung, für tiefe Fragen und echte Antworten. Hier geht es nicht um schnelle Korrekturen, sondern um das Erkennen von Zusammenhängen. Um den Mut, wirklich hinzuschauen. Wer Menschen auf ihrem Weg begleiten will, braucht Zeit, Selbsterfahrung und eine tiefe Reflexion des eigenen Tuns. Ohne das wird aus Coaching nur eine blasse Dienstleistung – und das Vertrauen, das Menschen in uns setzen, wird missbraucht.
3. Tiefe statt Trigger: Was Coaching wirklich braucht
In den sozialen Medien hat sich der Ton verändert. Emotionale Trigger und schnelle Wow-Momente bestimmen das Bild. Kurze, reißerische Inhalte erzeugen den Eindruck: „Veränderung ist leicht, wenn man nur den richtigen Trick kennt.“
Aber das Leben ist kein Instagram-Post. Coaching ist kein „Hack“. Und Menschen lassen sich nicht in „5 Schritten“ neu erfinden.
Tiefe Arbeit bedeutet:
- Hinschauen. Auch da, wo es weh tut.
- Reflektieren. Zusammenhänge verstehen, nicht nur Symptome korrigieren.
- Haltung entwickeln. Orientierung finden und sie ins Leben integrieren.
Das erfordert Zeit und Erfahrung – auf beiden Seiten. Menschen, die zu uns kommen, vertrauen uns. Sie erwarten Halt, Klarheit und vor allem einen Raum, in dem sie sein dürfen, was sie sind, und werden können, was sie sein möchten.
4. Schutz vor schädigenden Praktiken
Und hier liegt der nächste, entscheidende Punkt: Schutz. Schutz vor unerfahrenen Praktikern, die mehr versprechen, als sie halten können. Schutz vor Methoden, die Menschen emotional destabilisieren, statt sie zu stärken.
Es ist unsere Verantwortung, Menschen nicht nur „zu coachen“, sondern sie in ihrer Würde und Integrität zu bewahren. Coaching und Supervision sind nicht nur Werkzeuge, sie sind Begegnungen. Sie verlangen von uns Ethik, Achtsamkeit und den Mut, die Grenzen unserer Profession zu respektieren.
5. Mein Appell: Kehren wir zur Tiefe zurück
Ich glaube daran: Tiefe ist das Herz von Coaching und Supervision. Sie ist die Grundlage dafür, dass Menschen wirklich wachsen können.
Wir brauchen:
- Standards, die Orientierung bieten und das Vertrauen in Ausbildungen sichern.
- Professionelle Reflexion, die uns schützt vor Oberflächlichkeit.
- Diskussionen, die Coaching und Supervision lebendig halten.
Dieser Trend zur Verflachung wird nicht von allein verschwinden. Er fordert uns auf, Haltung zu zeigen. Nicht laut, sondern klar. Nicht auf Kosten der Tiefe, sondern im Dienste der Menschen, die uns vertrauen.
6. Tiefe beginnt bei uns selbst
Lassen Sie uns wieder die Fragen stellen, die zählen: Wer bin ich als Coach, als Supervisor*in? Was bedeutet es, andere Menschen zu begleiten? Und wie halte ich Räume, die Wachstum ermöglichen, statt nur kurzfristige Ergebnisse zu liefern?
Supervision und Coaching sind kostbare Werkzeuge. Sie verdienen den Respekt, den sie brauchen – durch Tiefe, Verantwortung und die Reflexion des eigenen Handelns.
Lassen Sie uns dorthin zurückkehren. Tiefe statt Trigger. Miteinander statt Oberfläche.
Was denken Sie? Haben Sie ähnliche Beobachtungen gemacht? Schreiben Sie mir, ich bin gespannt auf Ihren Blickwinkel.